governing thoughts

Wenn man konkret die Art und Weise der Selbstregierung verschiedener Individuen untersuchen wollen würde, wie könnte man das wohl angehen?
Ich verstehe in diesem Zusammenhang unter Selbstregierung verschiedene Praktiken, die ein Individuum als Selbstunternehmer auszeichnen, also Selbstverantwortung, Eigenständigkeit, Selbst- und Zeitmanagement, Strukturierungspraktiken, etc. Diese Praktiken sind derzeit als Forderung der neoliberalen Rationalität (also als Einwirkung der Fremdregierung auf die Selbstregierung) zu verstehen.

Ich fände es nun sehr spannend (und das mein ich ernst!), diese Praktiken auf ihre empirische Umsetzung zu untersuchen. Ergeben sich Widerstandspraktiken in Form "der Kunst nicht dermaßen regiert" zu werden? Nehmen Individuen die neoliberalen Verhaltensnahelegungen an, oder etablieren sie eine Art Gegen-Verhalten?

Welche Individuen-Gruppe würde sich denn da zur Befragung anbieten? Ich dachte an Teilnehmer von Kursen, die selbstgesteuertes Lernen in irgendeiner Form propagieren, am besten innerhalb der beruflichen Bildung, da dort die Forderung zur Selbstregierung nach wie vor am lautesten ist.

Das sind einige Gedanken, die mir zur Zeit im Kopf herumgehen. Und ich würde nun gerne wissen, ob das in den groben Zügen skizzierte Vorhaben überhaupt realisierbar wäre. Meine Erfahrungen in diesem Bereich sind nämlich eher - nun sagen wir - mangelhaft.

...und schon wieder habe ich Fragen an die geneigten Leser: Kennt jemand öffentlich zugängliche Zeitschriftendatenbanken, in denen ich neuere englischsprachige Artikel zur Gouvernementalität finden könnte?
Ich arbeite zur Zeit mit Fis Bildung, aber dort kann ich nur die Demoversion benutzen. Das ist schon einigermaßen ok, aber für Hinweise auf ähnliche Literaturdatenbanken wäre ich -wie immer- sehr dankbar!

Ich bin zur Zeit auf der Suche nach empirischen Arbeiten, deren theoretische Rahmung die Gouvernementalität bildet.
Leider musste ich nach der ersten Sichtung im Netz feststellen, dass sich dies schwierig gestalten wird, da die meisten Arbeiten -so auch meine- rein theoretischer Natur sind.
Gibt es Hinweise auf eine methodische Richtung oder gar eine Methodologie der Gouvernementalität?

Sachdienliche Hinweise bezüglich der englisch- und deutschsprachigen Literatur sind äußerst willkommen!

Eine Untersuchung von Gesundheitssoziologen der Technischen Universität Berlin beschäftigte sich mit der Korrelation von Sterberisiko und Schichtzugehörigkeit.
Die TU-Wissenschaftler gingen der Frage nach, ob es einen Zusammenhang zwischen sozialer Stellung und Gesundheit gibt. Dazu analysierten sie die Sterberisiken von 3497 Männern und 3200 Frauen zwischen 31 und 69 Jahren, die 1984 unter anderem zu ihrer sozioökonomischen Lage und zu ihrem Gesundheitsverhalten befragt worden waren. Bis 1998 waren von ihnen 616 Männer und 285 Frauen gestorben.
Basler Zeitung 20. 7. 2005
Das Ergebnis, dass es da natürlich einen Zusammenhang gibt, überrascht mich nun nicht besonders. Nicht nur unterschiedliche Konzepte der Lebensführung und die Gefahr der Arbeitslosigkeit tragen zur höheren Sterblichkeit der unteren Schichten bei.

Wenn man sich die Entwicklung der Privatisierung und Ökonomisierung im Gesundheitssystem so anschaut, kann man relativ schnell zu der These kommen, dass sich gut Situierte natürlich "mehr Gesundheit" durch "mehr Prävention" und "mehr Wellness" kaufen können. Gesundheit wird immer mehr zu einem ökonomischen Gut, dass sich dann nicht mehr alle leisten können.

Die Frage nach der dahinterliegenden Gerechtigkeitsvorstellung fällt meist unter den Tisch. Die ökonomische Moral setzt "Rational-Choice"-Subjekte vorraus, die für die versuchen ihren Nutzen zu maximieren (auch) indem sie sich Gesundheitsleistungen ersparen.

Nachdem vor kurzer Zeit ein Bekannter zu mir sagte, dass die Universität kein Ort mehr sei, von dem aus wirksame Gesellschaftskritik geübt werden könne, frage ich mich wo dieser Ort denn sein könnte.

Die Universitäten werden ökonomisiert und mit der Bachelor- und Masterumstrukturierung europäisiert. Kritik bedeutet hier in vielen Fällen, sich "Freiheitsspielräume" zu erhalten, um so bei der Umstruktierung nicht diejenigen Inhalte in der Lehre zu verlieren, die sich nicht durch einen späteren ökonomischen Nutzen seitens der "Universitätskunden" (formerly known as Studenten) auszeichnen.

Auch Foucaults Konzeption von Kritik und Widerstand als "Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden", also andere Selbstkonzeptionen als die nahegelegten, wie die des rationalen "Selbstunternehmers" oder der "Ich-AG", zu leben, erscheint mir irgendwie zu schwach.

Wo bitteschön ist den der Ort der Kritik, wenn die öffentlichen Universitäten noch stärker zu Massenbetrieben und die Privaten zu Eliteuniversitäten transformiert werden?

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Aber vielleicht bietet dieses Buch Perspektiven. Kennt das zufällig jemand? Ich bin gerade beim recherchieren auf den Link gestoßen...

Kann man das so sagen?

Weblogs stehen als postmodernes Medium für die Pluralität von Wahrheiten und Informationen.

In meiner Diplomarbeit, die ich nun endlich hier veröffentliche, geht es um eine bestimmte Form der „Gouvernementalität der Gegenwart“.

Julia Franz: Die Regierung der Qualität. Eine Rekonstruktion neoliberaler Gouvernementalität am Beispiel von Qualitätsmanagement in der Erwachsenen- und Weiterbildung (PDF, 1096kb)

Im ersten Teil wird die Machtanalytik Michel Foucaults skizziert. Der produzierende Charakter von Macht und die Frage, wie aus Individuen Subjekte gemacht werden, steht dabei im Vordergrund. Seine Hinwendung zur "Gouvernementalität", zur Kunst des Regierens und Führens von Menschen wird dadurch nachvollziehbar.

Anschließend werden die an ihn anschließenden Governmentality Studies thematisiert. Die zentrale neoliberalen Regierungselemente werden einzeln vorgestellt und diskutiert. Die Regierungselemente, wie die Anwendung bestimmter Vorstellungen von zum Beispiel Moral, Sicherheit und Verantwortung, stellen die Führung von Menschen ohne direkten Zwang sicher. Vielmehr sind es indirekte Mechanismen, die dem Individuum Selbstführungs- und Selbstoptimierungsstrategien nahelegen.

Im anschließenden Kapitel werden diese Elemente auf meinen Gegenstand, die Regierung der Qualität, übertragen. Innerhalb der Einführung von Qualitätsmanagementverfahren im Bildungsbereich lassen sich politische Technologien wie Dokumentationsmethoden und Subjektivierungspraktiken identifizieren.

Der Zusammenhang von Qualitätsmanagement, neoliberalen Rationalitäten und Macht soll anhand einiger zentraler Praktiken der neoliberalen Führung - zum Beispiel Responsibilisierung oder Subjektivierung - im Bildungsbereich verdeutlicht werden. Die Fragen, wie aus Teilnehmern Kunden und aus Einrichtungen Unternehmen werden bildet einen Kernpunkt der Arbeit.

Über Feedback, Anregungen und Kommentare würde ich mich sehr freuen, da ich mich auch weiterhin mit der Gouvernementalität beschäftige. Gerade bereite ich eine mögliche Dissertation mit diesem Theoriehintergrund vor und bin dankbar für Bemerkungen jeder Art.

Ohne ein System der Kommunikation, Registrierung, Anhäufung und Verlagerung, das selbst wieder eine Form der Macht darstellt und in seiner Existenz und Funktion an andere Formen der Macht gebunden ist, entsteht kein Wissen. Dagegen wird ohne die Förderung, Aneignung, Verteilung oder Einbehaltung eines Wissens auch keine Macht ausgeübt.

FOUCAULT, MICHEL (1976): Straftheorien und Strafinstitutionen. In: Kremer-Marietti, Angele (Hg.): Michel Foucault: Der Archäologe des Wissens. Frankfurt am Main, Berlin: Ullstein, S. 198


Diese Teildefinition des Macht/Wissen-Komplexes lässt sich im Prinzip auf jede Anhäufung und Dokumentation von Wissen beziehen. So auch auf ein Medium zur Wissens(re)produktion, auf Weblogs.
Ohne die Verschriftlichung und Archivierung in Form von Weblogbeiträgen wird kein Wissen generiert.

Wird dieses Wissen nicht mittels Links vernetzt oder durch andere kommentiert und ergänzt, bleibt dieses Wissen - mit Ausnahme für die jeweiligen Autoren - unberührt. Das heißt auf der einen Seite, dass es dann auch nicht manipulierbar oder regierbar wäre, da es ja niemand zur Kenntnis genommen hat. Auf der anderen Seite ergeben sich dann auch keine kritischen Interventionen, Anregung oder ähnliches, um dieses Wissen weiter zu entwickeln oder zu verändern.

Das selbstverschuldete Scheitern dient als Gegenpart zu der zeitgeistlichen Prämisse "Jeder ist seines Glückes Schmied". Das Individuum wird immer zur Verantwortung gezogen, im Guten wie im Schlechten.
Allerdings wird stets nur die gute, die Erfolgsseite in den Mittelpunkt gerückt. Was mit den Tellerwäschern passiert, die aufgrund "mangelnder Anstrengung" wider Erwarten nicht zum Millionar werden, wird meist kaum thematisiert, da sie ja schließlich selber schuld sind.
Der Verein Schoener Scheitern beleuchtet diese mißachtete Seite der neoliberalen Seinsweise:
Tatsächlich aber ist Erfolg nur eine Möglichkeit zu sein. Die europäische Kultur hat sich seit Anfang an immer mit dem Scheitern als einem letztlich unausweichlichen Aspekt des Lebens beschäftigt - sie wollte fürs Schlimmste zumindest mental gewappnet sein. Schoener Scheitern, LeitfadenInteressante Aspekte, Jackass als Ikonen des Scheiterns. Lesenswert!

Manchmal frage ich mich echt, wie viele Pädagogen das Konzept der Risikogesellschaft von Ulrich Beck in ihre Argumentationen aufnehmen -Im Zuge der Risikogesellschaft hat die Erziehung einenbesonderen Stellenwert- ohne zu hinterfragen, was das überhaupt bedeutet und ob das überhaupt eine ernstzunehmende Zeitdiagnose ist.

Ich würde sagen: NEIN! Unsere Gesellschaft ist nicht einer Reihe von unkalkulierbaren Risiken ausgesetzt, sondern sie produziert die Risiken nach mehr oder weniger bewusstem Kalkül. Entweder als versicherungsstrategische Berechnung -Kategorisieren von Risikopopulationen- oder als Methode um Angst unter der Bevölkerung zu schüren -Das Risiko eines Verbrechens lauert an jeder Ecke-.

Ich will nicht bestreiten, dass es Risiken gibt. Aber ich bezweifle, dass das Konstrukt einer Risikogesellschaft die gesellschaftlichen Umbrüche adäquat beschreiben kann.

 

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